Vorbereitung


„Was möchtest du nach der Schule machen?“ Jeder junge Mensch in Deutschland der die Schule gerade beendet hat, oder zumindest kurz davor steht sie zu beenden, sieht sich in diesem Zeitraum unzählige Male mit dieser Frage konfrontiert. In den meisten Fällen folgt auf diese Frage eine ebenso schwammige wie uninformative Antwort, in der immer wieder die selben Stichworte fallen (keine Ahnung, orientieren, Pause machen, Geld verdienen, Reisen).

Wir waren 13 Jahre zusammen in einer Waldorfschule in derselben Klasse. Als Waldorfschüler ist man es gewöhnt, immer wieder erklären zu müssen, was denn eigentlich der Unterschied des Schulsystems im Vergleich zu staatlichen Schulen sei. Nachdem man dann seinen üblichen, etwas halbherzigen Erklärungsversuch heruntergeleiert hat, frage ich persönlich zumindest gerne, was mein Gegenüber denn bisher so über Waldorfschüler gehört hat. Als Antwort hört man dann (neben den üblichen Klischees: Namen tanzen und Bäume umarmen) oft auch überraschend positive Dinge. Offenbar sind wir dafür bekannt besonders kreativ, selbstständig und umweltbewusst zu sein.
Nun, so sehr ich mich auch über diese Komplimente freue, ich müsste lügen wenn ich behaupten würde, dass diese Eigenschaften bei mir besonders ausgeprägt wären. Wenn ich also gefragt wurde was ich denn nach der Schule vorhätte, dann antwortete ich genau wie viele meiner Altersgenossen mit dem besonders schlagfertigen Satz, „Ähhhhh, keine Ahnung. Wahrscheinlich erstmal einfach Pause machen und mich ein wenig orientieren. Vielleicht einen Job suchen, etwas Geld verdienen und dann Reisen!“

Nun steht man allerdings vor einer ganzen Reihe neuer Herausforderungen. Wenn man eine größere Reise machen möchte, dann stellen sich die Fragen Wo? Wann? Wie? Mit wem? Und für den gut situierten, jungen Bildungsbürger auch noch die Frage, Warum?

Die Fragen „mit wem?“ und „wie?“, waren für mich in groben Zügen relativ schnell geklärt. Jakob, Joshua, Marie und ich sind seit vielen Jahren gute Freunde und wir hatten schon länger darüber nachgedacht nach dem Abitur eine gemeinsame Reise zu unternehmen (wobei man ehrlicherweise sagen sollte, dass Marie erst später dazugestoßen ist und damit Gustav, einen weiteren Klassenkameraden von uns, quasi ersetzt hat, der aus persönlichen Gründen absagen musste). Außerdem stand für uns früh fest, dass wir einen Roadtrip machen wollten. Zum einen gefällt uns der Gedanke, mit dem eigenen Auto durch verschiedene Länder zu fahren und nie darüber nachdenken zu müssen wo man abends schläft, zum anderen ist man logischerweise auch sehr unabhängig und kann tun und lassen worauf man Lust hat.
Der Zeitraum stand eigentlich auch nie zur Debatte. Völlig egal wo unsere Reise stattfinden würde, wir müssten sie immer noch selber finanzieren und dazu brauchten wir mindestens sechs Monate Zeit. Damit kam also nur die Zeit von frühestens März, bis spätestens August 2019 infrage.
Die Frage „Wo?“, war also der erste wichtige Punkt der von uns allen gemeinsam besprochen werden musste. Angefangen hatten unsere naiven Träumereien während des Geographieunterrichtes. Ich glaube der Wunsch nach Natur, frischer Luft und von Menschen unberührten Gegenden ist niemals größer, als wenn man in der Schule in einem kleinen, dunklen und stickigem Raum, in dem obligatorischen Diercke Atlas, z.B. Karten von Sibirien auf ihre Rohstoffvorkommen und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Abhängigkeiten von verschiedenen Industrie- und Entwicklungsländern analysiert. Dementsprechend war unsere erste Idee einen Roadtrip von München nach Wladiwostok zu machen. Nach einigen Recherchen im Internet verwarfen wir diesen Vorschlag allerdings wieder. Weder hatten wir schon mal einen Roadtrip geplant und durchgeführt, die Zeit eine dermaßen lange Reise durchzuführen, noch sprachen wir russisch.
Die nächste Idee war die Panamericana, die längste Straße der Welt, die von Alaska bis nach Feuerland am südlichsten Punkt von Argentinien führt. Auf Instagram verfolgte ich die Reise mehrerer Jungs aus Deutschland, die nach ihrem Abschluss nach Alaska geflogen waren, sich (spontan!!!) einen Schulbus gekauft hatten und mit diesem über mehrere Monate die Route komplett abgefahren waren. Dieses Beispiel zeigte uns, dass diese Idee zumindest realistisch und umsetzbar war. Wer uns kennt weiß allerdings, dass wir nicht gerade für unsere Spontanität bekannt sind ;) Der Aufwand nach Alaska zu fliegen, ein Auto zu kaufen und vor Ort auszubauen, oder gar ein bereits ausgebautes Auto nach Amerika zu verschiffen, war uns einfach zu hoch. Außerdem begannen wir uns (vor allem Jakob und Joshi) zu fragen, warum wir eigentlich unbedingt so weit weg wollten. Wir sind zwar Europäer, aber kennen tun wir unseren eigenen Kontinent dennoch nicht wirklich.
Die Idee von München aus loszufahren und sofort in Länder zu kommen die uns bisher unbekannt sind gefiel uns. Statt immer nur den Blick auf den Horizont zu richten, um möglichst exotische Orte zu entdecken, wollen wir also versuchen die „verborgenen Schätze Europas“ direkt vor unseren Füßen zu sehen.

Damit hatten wir also schon mal einen ersten, groben Entwurf. Aber wie bei einem Hausbau kann man schließlich nicht einfach anfangen zu bauen, sondern muss sich den ganzen Spaß natürlich auch finanzieren.
Nach den Sommerferien 2018 (genau genommen haben wir überhaupt keine Sommerferien mehr), haben Jakob und ich, da Marie und Joshua noch überhaupt nicht involviert waren, uns also nach Jobs umgesehen. Während Jakob für über ein halbes Jahr bei verschiedenen Baumpflegeunternehmen und Forstbetrieben arbeitete (Folgen waren unter anderem chronische Erschöpfung, Müdigkeit und Abwesenheit bei verschiedensten sozialen Aktivitäten – „aber die Arbeit macht ja Spaß“), landete ich bei der deutschen Post als Briefzusteller. Wer sich darunter einen gemütlichen und entspannten Job vorstellt, der werde an dieser Stelle eines Besseren belehrt. Tag für Tag träumte ich von fernen, wärmeren Orten während ich mit klammen Fingern versuchte Briefe, Zeitschriften und mehrere Wurfsendungen in einen überfüllten Briefkasten zu stecken/stopfen und dabei jede Person innerlich verfluchte, die keinen „Bitte keine Werbung“ Sticker hatte. Außerdem zeigte ich aufgrund der Arbeitszeiten ähnliche Symptome wie Jakob und hatte durch zahlreiche! Überstunden auch schon genügend Geld verdient, um bereits nach drei Monaten zu kündigen, statt nach geplanten sechs. Marie verdiente sich ihre Brötchen als Thekenkraft in einer Bäckerei (Füße hoch!) und mit einem Nähauftrag für eine Freundin (siehe „Wir über uns“), während Joshua hauptsächlich auf Erspartes von früheren Aufträgen zurückgreifen konnte.

Nach dem die Finanzierung steht, kann man anfangen das Fundament zu legen und die ersten Mauern hochzuziehen. In unserem Fall hieß das, ein Auto zu kaufen und uns Gedanken wegen des Ausbaus zu machen.
Allerdings standen wir hier vor einem Problem. Mit unserem Führerschein (Klasse B) dürfen wir lediglich Autos mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 3,5 Tonnen fahren. Damit fielen größere Busse und Fahrzeuge, in denen wir vier Leute hätten unterbringen können weg und wir beschlossen jeweils zu zweit ein Auto zu erwerben.
Bei der Suche nach einem passenden Fahrzeug zahlte es sich nun aus, dass Jakob und Joshi seit bestimmt einem Jahr, quasi täglich, zu allen möglichen und unmöglichen, passenden und unpassenden Momenten den Markt für Gebrauchtwagen auf Ebay Kleinanzeigen studiert hatten. Sowohl Marie und Joshi als auch Jakob und ich fanden recht schnell ein passendes Auto (Erstere einen T3, letztere einen T4). Der Autohändler mit dem Jakob und ich zu tun hatten handelte mit ehemaligen Bundeswehrfahrzeugen und schien ein überzeugter Anhänger des Militarismus zu sein. Mit einem Bier in der Hand (Vormittags!) und Blick auf Plakate auf denen noch irgendwas von „Volkssturm“ stand, wurden wir in Unterhaltungen über russische Raketensysteme, Panzerrallyes und Bundeswehrunzulänglichkeiten („die Wehrmacht das war noch was“) gedrängt. Überhaupt scheint in Russland vieles besser zu laufen („Da mag man die Armee noch, die empfangen euch mit offenen Armen wenn ihr mit dem Wagen da ankommt“). Wir haben das Auto dann doch lieber blau gestrichen.
Die Ironie, dass vier Waldorfschüler nach der Schule als erste große Investition, inmitten der bundesweiten Debatten über Abgasskandale, Dieselfahrverbote, Luft- und Umweltverschmutzung, sich zwei VW Dieselbusse kaufen ist meiner Meinung nach selbsterklärend (Immer noch besser als Fliegen oder?).

Um wieder auf meine Hausbaumetapher (#deutschunterricht) zurückzukommen: Nach dem das Grundgerüst fertig ist beginnt man mit dem Innenausbau, mit all seinen kleinen Ärgernissen. Netterweise funktioniert die Metapher an dieser Stelle auch buchstäblich und bedarf keiner weiteren Umdeutung :)
Für einen Autoausbau braucht man einen Ort zum Arbeiten, genügend Material und jede Menge Werkzeug. Keiner von uns war dementsprechend ausgestattet und so mussten wir uns nach einer anderen Möglichkeit umsehen. Glücklicherweise hat ein Schulfreund von Joshis Vater einen perfekt ausgestatteten Hof in der Nähe von Weilheim und erlaubte uns die Autos dort abzustellen und an ihnen zu arbeiten (An dieser Stelle noch einmal vielen Dank an Sebastian, Sophie, Camillo und Lee).
In unseren ersten Plänen hatten wir für den Ausbau ein bis zwei Wochen eingeplant. Im Nachhinein war das in etwa so realistisch wie die Eröffnung des Berliner Flughafens im November 2011. Tatsächlich haben wir ca. drei Monate gebraucht, in denen fast immer mindestens einer von uns Vieren in Weilheim war.
Im Verlauf dieses Prozesses haben wir die Busse zunächst eher auseindergebaut um uns einen Überblick zu verschaffen was noch nutzbar ist, was ersetzt, oder aber entfernt werden sollte. Danach erst haben wir begonnen aus den 75 Quadratmetern Holz die wir bestellt hatten (von denen wir aber nur 35 gebraucht haben) die Inneneinrichtung auszuschneiden, sie zu verschrauben, zusammenzuspaxen, zu schleifen, zu verleimen, zu ölen, um sie letztendlich, nach zahlreichem hin und her, fest einzubauen. Selbstverständlich hat kaum etwas auf Anhieb funktioniert. Wir mussten unsere „Baupläne“ teilweise grundlegend überarbeiten und unzählige male Bauteile anpassen.
Natürlich ist es damit noch nicht getan. Man braucht noch Matratzen, die eigens für unsere Busse und die Körperlänge einer gewissen Person..., angepasst werden mussten. Zusätzlich auch noch Vorhänge, die von uns mit Magneten versehen wurden und das übliche Zubehör wenn man auf einen mehrmonatigen (Quasi)Campingausflug gehen möchte. Dazu gehören Spiritusherde, eine Kühlbox (dekadent, aber wer hätte nicht gerne eine im Auto?), Töpfe, Schlafsäcke, Decken, Kissen, Boxen, Werkzeug, neue Reifen, Karten, Netze, Kanister, Taschenlampen etc. etc...
Und dabei reden wir noch gar nicht über den eigentlichen Nervenkiller, den „Papierkram“.
Schließlich sind die Deutschen nicht grundlos für ihr Verlangen nach möglichst viel Bürokratie bekannt. Allein für die Autos mussten wir Übergangskennzeichen besorgen, die wir nach der TÜV Zulassung (wir besitzen jetzt offiziell ein „Sonder KFZ Wohnmobil“) und dem Erwerb einer entsprechenden Versicherung durch normale Kennzeichen ersetzen konnten. Wir mussten die Autos wiegen lassen, einen internationalen Fahrzeugschein und die grüne Versicherungskarte besorgen und um das Endprodukt dann auch in verschiedenen Ländern fahren zu können nicht einen, sondern zwei internationale Führerscheine beantragen (internationaler Führerschein und gesonderter internationaler Führerschein).
Nicht zu vergessen unsere eigenen Papiere. Neben der obligatorischen Reiseversicherung und einigen Impfungen brauchen wir natürlich auch Visa (glücklicherweise aber „nur“ für Aserbaidschan und Russland). Außerdem einen vorläufigen Personalausweis für mich selbst, da das russische Visazentrum mein Passbild nicht akzeptiert hat (dasselbe Bild das in der KFZ-Zulassungsstelle ohne mit der Wimper zu zucken für meine beiden internationalen Führerscheine akzeptiert wurde), weswegen mein Reisepass (Stand: 24.04) erst in einer Woche kommt.

Aber wir betreiben diesen Aufwand schließlich auch nicht grundlos. Die letzte Frage auf die ich bisher noch nicht wirklich eingegangen bin, ist die Frage nach dem „warum?“
Natürlich hat jeder von uns seine eigene Motivation dieses Projekt durchzuführen. Der gemeinsame Nenner auf den wir uns in jedem Fall alle einigen können ist die Lust und die Neugier neue Länder und Kulturen zu erkunden. Aber nach dieser Gemeinsamkeit scheiden sich die Geister bereits in verschiedene Richtungen. Ich selbst bin damit glücklich „einfach nur zu reisen“, mich vor Ort in erster Linie mit den kulturellen Erzeugnissen der Menschen und wenn möglich, ihrer Weltanschauung zu beschäftigen (ohne meine Erkenntnisse zwingend dokumentieren zu müssen), Jakob z.B. setzt seinen Interessensschwerpunkt eher auf die lokale Natur und Landwirtschaft. Joshua wiederum versucht allem relativ offen gegenüber zu stehen und sich spontan treiben zu lassen, während Marie die treibende Kraft hinter der Idee ist, die Reise mit einem offiziellen (Video)Projekt zu verbinden.
Dieses Projekt soll sich um die Diversität der europäischen Bürger drehen. Damit meine ich nicht Diversität auf einer ethnischen Ebene, sondern vielmehr den Umstand, dass auf einem doch relativ kleinen Kontinent ein derart vielseitiger Schmelztiegel verschiedener Kulturen, Traditionen und Weltanschauungen nebeneinander existiert.
Damit hatten wir also ein weiteres Fass geöffnet, dass sich in Form weiterer Vorbereitungen und Besorgungen zusätzlich auf unsere Planung auswirkte. Zunächst braucht man eine grundlegende Filmausrüstung, um überhaupt halbwegs qualitativ hochwertiges Material produzieren zu können. Wir haben uns also eine ziemlich gute neue Kamera besorgt, ein Mikrophon (wurde uns freundlicherweise von „Ambient“ gesponsort), verschiedene Adobe Programme, eine Solarplatte um alle Geräte laden zu können (wurde uns von Offgridtec gesponsert) und eigentlich wollten wir noch eine Drohne für Luftaufnahmen. Diese wollten wir über das Internet auf Ebay Kleinanzeigen kaufen und wir fanden auch ein vielversprechendes Angebot. Allerdings stellte sich heraus, dass die Anzeige ein Betrug war. Wie wir das wissen? Uns fehlt ein vierstelliger Betrag auf dem Konto und es sieht (trotz Anzeige bei der Polizei) nicht danach aus, als würden wir das Geld oder die Drohne jemals wieder sehen. Und die Moral der Gschicht? - nutzt Paypal oder schließt eine Versicherung ab!!!
Soviel zu der praktischen Seite. Zu einem Projekt gehört aber eben immer auch so etwas wie Öffentlichkeitsarbeit. Deshalb hat Marie für uns diese Website angelegt. Zusätzlich haben wir auch noch unseren Instagram- und Facebook Account, eine Email Adresse und sogar einen Youtube Kanal, unserer Influencer Karriere steht also nichts mehr im Wege. Eigentlich hatten wir auch ein Profil auf einer Crowdfunding Website, haben es allerdings nie aktiviert. Das liegt daran, dass wir uns selbst nicht vollkommen sicher sind ob wir es wirklich schaffen während der Reise auch noch mehrere hochwertige Videos zu drehen. Wir werden es auf jeden Fall versuchen, aber die Zeit läuft uns momentan ehrlich gesagt ein bisschen davon. Da sich unsere Abfahrt immer weiter hinauszögert und Jakob und ich spätestens Mitte bis Ende Juli wieder in Deutschland sein müssen... naja, lassen wir uns überraschen.

Eigentlich steht unserer Abfahrt so gut wie nichts mehr im Wege. Trotz, oder gerade wegen der ganzen Verzögerungen sind wir hoch motiviert nun endlich aufzubrechen, um das Klischee der faulen Exschüler, die nach dem Abschluss einfach nur sinnlos ihr Geld irgendwo in Australien, oder Süd- Ostasien verprassen, zu wiederlegen. Man muss nicht weit reisen um etwas über sich und die Welt herauszufinden und sich zu orientieren, wir hoffen, dass wir euch das (und uns selbst auch) beweisen können.






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